Ein andermal Feste feiern in des Wortes doppelter Bedeutung. Wer, wenn nicht wir, sollte positive, tapfere, zuversichtliche, getroste Ausstrahlung haben! "Ich will leben und ihr sollt auch leben" sagt Jesus. Wer daran festhält, der holt daraus den langen Atem der Geduld, hält durch und bleibt mit Gott in Bewegung. Scheitern, Fehlschläge gehören zum Leben dazu. Wer aber Träume unterdrückt und Hoffnungen verhindert, bis sie unmöglich geworden sind, der trampelt alles an Gott gegebenen Möglichkeiten kaputt.
Das meint Jesus wohl, wenn er sagt: "alle Sünde und Lästerung wird dem Menschen vergeben, aber die Lästerung gegen den Geist wird nicht vergeben" (Mt 12,31). Wer Gott nichts mehr zutraut, wer sich und andere, wer die Kirche aufgibt, der findet keine Vergebung, der kriegt keine Chance zu einem Neuanfang. Das ist nicht moralisch, sondern lebensnah. Es ist dumm, dem göttlichen Geist zu misstrauen, der unabhängig von uns weht, wo er will, der pure Freiheit als Kontrast zu unserer zeitweisen Enge und Begrenztheit ist.
Dumm, über diesen Geist zu spotten, ihn abzutun – wird eh nix!, no way, no chance -, dann sehen wir bald wirklich alt aus. Wer das für unmöglich hält, dem wird das nicht vergeben, das heißt, er straft sich selber damit. Das fängt schon an, wenn man sich immer nur das Allerschlimmste ausmalt, sich den wildesten Ängsten hingibt, – um dann irgendwann zu merken, dass man so kostbare Lebenszeit vertan hat. Und wer will schon zu einer Kirche gehören, in der die Jammerlappen das Sagen haben.
Reformationsjubiläum. Semper reformanda, die Kirche ist es und darf es sein - genau so, wie wir selbst. Runderneuerung ohne Skalpell und Spritzen - wir leben davon, dass es sie gibt: Zunächst noch ungeahnte Möglichkeiten und Chancen, sich und die Verhältnisse zu ändern, zum Besseren zu wenden. Menschen, die über das semper reformanda jubilieren, halten ihr Leben und diese Welt nicht für erträglich. Im Gegenteil: Wer mit starkem Rückenwind aus dem Reich göttlicher Phantasie rechnet, wird sensibler für Nöte.
Er bewegt sich, betrachtet das Leben aus einem neuen Blickwinkel heraus, spürt frische Energie und fasst wieder Mut. Semper reformanda. Da gibt es dann schon auch mal Überraschungen, die einen umhauen können. Wir sehen neu, hören wieder richtig – hin. Wir kommen in Bewegung und werden sprachfähig. Werft euer Vertrauen nicht weg. "Es hat eine große Belohnung…" geht es weiter (Hebr 10,35). Wir können erleben, dass "bei Gott kein Ding unmöglich ist" (Lk 1,37).
Reformationsjubiläum. Da gehört schon auch dazu, dass Luther sagte: „Was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweihet sei, obwohl es nicht jeglichem ziemt, solch Amt auszuüben.“ Das ist sauber biblisch-theologisch gedacht. Mit einem Federstrich hebt der Reformator die Klassengesellschaft des Mittelalters auf. Das Gegenüber von Gemeindechristen und geistlicher Elite hat ausgedient, wenn jeder, der getauft ist, automatisch zur geistlichen Elite gehört.
„Allgemeines Priestertum aller Gläubigen“. Jeder Gläubige repräsentiert die Kirche. Chauffeur, Anwältin, Betriebswirt, Computerspezialistin: Sie bilden die Gemeinschaft der Gläubigen. Und, noch aufregender: Luther wertet weltliche Berufe auf. Gute Werke, das ist alles, was im Glauben getan, geredet und gedacht wird. Jubilate! Die Trennung von heilig und profan ist aufgehoben. Der Alltag hat seinen eigenen Zauber und unsere Arbeit daheim, am Schreibtisch, in der Firma kann ein rechter Gottesdienst sein.
Christusjahr. Das war die brillante Idee unseres Landesbischofs. Eine, die nicht zum konfessionellen Separatismus aufruft, sondern zur Gemeinsamkeit. Das gefällt jetzt auch nicht jedem, weil man sich ab und zu ganz gerne abgrenzt von den anderen. Aber es geht nicht um eigene Profilierung, sondern darum, wer um Herr ist über mein Leben. An wem ich mich ausrichte und orientiere. Luthers bester Freund war Johannes Bugenhagen. Er hat ihn mit Katharina getraut und ihm am Ende auch die Grabrede gehalten.
Bugenhagen war der Reformator von Nordeutschland und Skandinavien. Ein „Generalsekretär des organisierten Luthertums“, wie es ein Journalist neulich formulierte. Er war der Diplomat, der zwischen den Regierungen und der Reformation vermittelte, sozusagen der Politikbeauftragte. Seine Kirchenordnungen bestimmten über Jahrhunderte das Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Besonders wichtig war ihm bei diesen „Staatsverträgen“ das Sozialwesen und guter Schulunterricht.
Solus Christus. Für Bugenhagen bedeutet das ganz aktuell: „Wir brauchen gute Schulen, kein Schulgeld für die Armen und gut bezahlte und gut ausgebildete Lehrer. Wir brauchen ein Fürsorgewesen, das den Bedürfnissen der Armen, Witwen und Waisen gerecht wird. Nicht um erbettelte Almosen soll es gehen, sondern um die Verantwortung der Bürgerschaft für das Gemeinwesen.“ Es gibt keinen Zweifel, dass der Glaube an Christus allein höchst praktische und menschliche Konsequenzen hat.
Bugenhagens Theologie war kurz und knackig. Sein zentraler Satz: „Kennst du Jesus gut, genügt das, auch wenn du sonst nichts weißt. Kennst du Jesus nicht, dann hat alles keinen Wert, was auch immer du sonst lernst.“ Christusjahr. Back to the roots, zurück zu unseren Wurzeln. Ad fontes - hin zur Quelle unseres Lebens. Wir brauchen nicht nachzudenken über unique selling factors, über Alleinstellungsmerkmale oder Markenlogos. Das ist mit solus Christus, allein Christus überflüssig.
Mehr als ihn brauchen wir nicht. Kein liturgisches Brimborium, keinen Ablass, keine Heiligen als Mittler zwischen uns und Gott ... Nur das Vertrauen im Leben und beim Sterben auf Christus. Freund Luther beschreibt Christus als „Spiegel des väterlichen Herzens“. Und des reicht doch wirklich, ihn zu kennen: Wenn Jesus sich Kranken zuwendet, dann wissen wir, dass wir leben sollen. Wenn Jesus sich mit Erzkapitalisten und Huren an einen Tisch setzt, begreifen wir, dass wir uns nicht über andere erheben sollen.
Wenn er Menschen vor der Hinrichtung bewahrt, wird einem schnell klar, dass jeder von uns auf Vergebung angewiesen ist. Solus Christus - Spiegel des väterlichen Herzens. Einer, der leidet und Gottesferne erlebt, wie wir sie in unseren Abgründen kennenlernen. Selbst diese Verzweiflung ist Leben. Jesus, der aufersteht und uns vorangeht in die herrlichste und unmittelbare Gottesnähe, wie wir sie auf Erden nur in wenigen Momenten von Seligkeit erfahren.
Christus allein. Das muss Liebe zu allen Menschen bedeuten. Schändlicherweise hat eine falsch verstandene Christusliebe immer wieder zu Pogromen gegen Juden und Jüdinnen geführt - bis hin zur Shoa. Dafür haben wir keine Entschuldigung - nur tiefe tiefe Scham. Der Antijudaismus des älteren Luther ist bitter. Wir bekennen uns heute auch in unserer Verfassung dazu, dass es eine bleibende Erwählung des Volkes Israel gibt. Wir sind dem Volk Gottes innig verbunden und dankbar, dazu gehören zu dürfen.
Christus allein. Ja. Und in dieser Überzeugung begegnen wir Atheisten, Skeptikern und denen, die einer anderen Religion angehören. Ich halte meinen Glauben für wahr und kann dem anderen zugestehen, dass er seinen Glauben für wahr hält. Ich will mich nicht auf Biegen und Brechen durchsetzen, sondern munter und fröhlich von meinem Glauben erzählen. Leben und leben lassen, die Liberalitas Bavarica hat eine viel umfassendere Bedeutung, als es manchmal den Anschein hat.
Wir können in dieser Stadt, in unserem Land und weltweit nur überleben, wenn wir gemeinsam mit anderen die gottgegebene Menschenwürde achten. Den Religionen und Konfessionen ist es aufgetragen, an Frieden, Gerechtigkeit und der Bewährung der Schöpfung mitzuarbeiten. Wer an einen gnädigen und barmherzigen Gott glaubt und sich nicht selbst arrogant an seine Stelle setzt, der kann gar nichts anders, als in Ehrfurcht mit dem eigenen Leben und dem anderer umzugehen.
Liebe Schwestern und Brüder: Luther, Jubiläum und Christus. Ein mittelalterlicher Mensch mit Ecken, Kanten, mit Irrtümern, der uns zugleich unseres Fundamentes vergewissert und zu neuer geistlicher Freiheit geführt hat. Das ist ein Anlass, zu feiern, sich zu begeistern für einen Glauben, der auf dem Evangelium gründet. Und ein Herr und Gott, der uns auserkoren hat zu seinen geliebten Menschen. Zu Menschen, die sich ihrer selbst bewusst und gerechtfertigt allein aus Gnaden jeden Tag neu aufmachen dürfen ins Leben.
Amen.